In der globalisierten Gegenwart überlagern sich Medienwirklichkeit und Realität. Direkte Erfahrungen werden zunehmend abgelöst durch die Sinnbezüge digitaler Bilderwelten. Simulation und Imagination vermischen sich dabei zu immer neuen Bezugssystemen der Sinnstiftung, die sich durch die individuelle Rezeption auch auf das unmittelbare Erleben auswirken. Kontexte, verstanden als Relationen eines allgemeinen Sinngehaltes zu bestimmten Objekten, Gruppen und Erscheinungen, werden dadurch in Räume sich stetig wandelnder Virtualität fragmentiert, in denen sich Realität und idealisierte Vorstellung vermischen. Als Ausprägungen von Welt- und Selbstbildern gehen diese Konzepte zwar Raumvorstellungen, kreativen Prozessen und gesellschaftlichen Entwicklungen vorweg; aber ihre Flüchtigkeit und Wandelbarkeit lässt im Umkehrschluss die individuelle Referenzsetzung brüchig werden. Definitionen scheinen fast nur noch auf den Moment der persönlichen Zuschreibung beschränkt, bevor sie im Schaum der Deutungsmuster variiert, interpretiert oder abgelöst werden. Das Verbindende, die systemischen Strukturen der Virtualität sind dabei abseits technischer Zuschreibungen eine Terra incognita spielerischer Praxis und separierter Betrachtungsperspektiven. Als immer bedeutender werdendes Grundraster menschlicher Existenz drängt sich aber die Frage nach ihrer Beschaffenheit zunehmend auf. Weniger in der technischen Definition, sondern in den Relationen in der sie zum Menschen wirken. Die Frage nach dem Kontext, nach dem Zusammenhalt der Erscheinungen im Vorbild und ihrer sinnstiftenden Verortung von Subjekt und Objekt, muss im Zeitalter der Virtualität neu gestellt werden.
Die Grundlage der Theorie der Virtuellen Kontexte basiert dabei auf einem transdisziplinären Forschungsprozess. Dieser nahm mit der Frage des Autors seinen Anfang, wie genau Menschen ein Gefühl für eine Stadt – ein Verhältnis zu einem Ort – bilden.
Die etablierten und meist statischen Erklärungsmodelle erschienen hierzu unzureichend, da gelebter Raum zunehmend als geschaffene Struktur der Wahrnehmung, Aneignung und Gestaltung, im permanenten Prozess zwischen Realität und Medialität chargiert. Dieses Wechselspiel, das sich konzentriert in der Architektur und dem zeitgenössischen Immobilienschaffen zeigt, wurde vom Autor in der 2015 publizierten Arbeit „Mediale Präsentation in der Gegenwartsarchitektur – Das Beispiel der Vereinigten Arabischen Emirate“ beispielhaft dargelegt.
In weit gefassten Medienanalysen und Vor-Ort-Untersuchungen wurde die Auswirkung von Massenmedien auf die reale Gestaltung von Stadt und die Gesellschaftsbildung erforscht. Die interdisziplinäre Methodik vereint dabei Erkenntnisse und Methoden z.B. der Mediengestaltung, der Urban Studies, der Filmwissenschaft, der Werbung, der Visual Culture Studies, der Architektur und der allgemeinen schöpferischen Kultur und wurde im Folgenden um Ansätze aus Kognitionsbiologie, Psychologie und Philosophie erweitert.
In der Theorie der Virtuellen Kontexte wird dabei der Frage nachgegangen, wie Sinn anhand virtueller – also intermedialer – Kontexte gebildet wird und welche Auswirkungen diese auf real geschaffene und individuelle Kontexte haben. Die übergeordnete Frage wie sich überhaupt so etwas wie Sinn – sprich Zusammenhang und Relation – evoziert oder konstruiert, erfolgt dabei über eine Auseinandersetzung mit bildlicher Kultur und der Frage wie Medien wirken und was sie wirken. Medien sind dabei nicht nur als gegenständliches Gebilde wie im Film, in der Computersimulation oder im Foto zu begreifen, sondern als Erscheinungen eines spezifischen Sinns der sich aus dem Kontext einer spezifischen Bildlichkeit ergibt. Dieser wird erweitert auf den Rahmen der Entstehung und Beschaffenheit von individuellen Selbstbildern und gesellschaftlichen Weltbildern.
Was sehen wir in Medien?
Obwohl der Begriff der Medien ein Trendwort der zeitgenössischen Forschung ist, ist streng genommen unklar, was sich hinter diesem Begriff eigentlich genau verbirgt. Als ein vermeintlich künstliches Gegenüber steht es in Konkurrenz zu einer empfundenen Realität und beeinflusst durch seine mitunter wirklichkeitsnahe Beschaffenheit Meinungen und Weltbilder. An den Erscheinungen des Medialen ist dabei nicht nur ihre Wirkung interessant, sondern vor allem ihre Struktur, die viel Erkenntnispotential über menschliche Weltbildung aufweist.
Auch wenn es so scheint bilden Medien keine Gegenstände aus. Eine filmische Figur erscheint mitunter menschenähnlich, aber doch ist sie nur eine Agglomeration aus Licht und Ton im Wechsel; und das in einer mitunter so hohen Komplexität der Eindrücke, dass sich eine Benennung der Einzelteile fast als unmöglich erweist.
Dennoch entsteht im menschlichen Verstand aus all diesen Eindrücken ein Gefühl, ein Konzept, eine Sinnstiftung. Angeregt durch bestimmte Techniken der Medienpraxis bildet sich das Konstrukt des EINEN Gegenübers aus, das als mentale Kategorie Komplexität beherrschbar macht.
Dieser Mechanismus ist dabei nicht nur auf Bilder und Töne beschränkt sondern scheint eine intermediale Konstante zu sein. Auch z.B. eine Stadt erscheint in mannigfaltigen Eindrücken von unterschiedlichen Zuständen in unterschiedlichen Kanälen, aber doch bildet sich die Kategorie der einen Stadt im menschlichen Verstand. Ebenso bestehen Entwürfe für Gebäude aus einem Rauschen aus unterschiedlichen Erscheinungen, die durch Bilder, Grafiken, Filme und durch Wortäußerungen erschaffen werden und dennoch bildet sich (mitunter) das bei einem Rezipienten, was als DER Entwurf kategorisiert werden kann.
Das Modell des virtuellen Kontextes
Aus der Analyse, wie sich aus unterschiedlichen Medienerfahrungen dieses eine Gegenüber entwickelt, ist anhand der Erforschung der „virtuellen Emirate“ das Modell des „virtuellen Kontext“ in Grundzügen entwickelt und im Werk “Kontexte” erweitert und errörtert worden.
Hierbei werden Erscheinungen nicht nur anhand eines vermeintlichen Objektivismus der Dinglichkeit beschreibbar, sondern durch das Netzwerk der Relationen, durch die einzelne Aspekte als ein zusammenhängendes Konstrukt begreifbar werden, strukturiert. In der Zusammenführung etablierter Praktiken der Mediengestaltung, wie z.B. Imageschaffung, Narration, Mythenbildung oder Ikonisierung, soll so die subjektive Wirkung des Medialen strukturiert begreifbar werden. Im Wesentlichen ist dieses dabei ein mentaler Prozess der Komplexreduktion, in dem Sinn nicht in den Erscheinungen selbst liegt, sondern aus dem Zusammenhang zu anderen Erscheinungen mit denen sie sich kontextualisieren, durch eine bestimmte Perspektive geschaffen wird.
Mediale Erscheinungen werden zu Objekten – durch den Kontext der sie bestimmt. Auch wenn eine Erscheinung z.B. im Film singulär wirkt, so ist sie doch in ein dichtes Netz aus Reverenzinhalten eingebunden, durch die sie – ob bewusst oder unbewusst – erst ihren Gehalt erhält.
Virtuelle Romantik
Die globalisierte Gegenwart ist bestimmt von einem Nebeneinander zahlreicher virtueller Kontexte.
In ihrer Mannigfaltigkeit bilden sie ein hochkomplexes System unterschiedlichster Sinnstiftungen aus, das aufgrund der Schnelllebigkeit des Digitalen, wahrscheinlich von keinem Menschen umfassend durchdrungen werden kann. Stattdessen ist eine Kultur des „Copy – Paste“ zu beobachten, in der Erscheinungen scheinbar gedankenlos aus ihren Kontexten gelöst und in ein neues, übergeordnetes System integriert werden.
Zunehmend scheinen sich Menschen dabei zu der Komplexität der zwischen Imagination und Simulation wechselnden virtuellen Kontexte anhand ihres eigenen mentalen Kontextes, ihres eigenen Weltbildes, zu positionieren. Ein Zeitalter der „virtuellen Romantik“ ist im Anbruch, in dem Sinn über mediale Erscheinungen vor allem durch das Ich, in einem Akt des radikalen Subjektivismus, vorherrschend ist.
Metakontext
Ungeachtet dieser Epochentendenz ist dabei eine Beobachtung für die Theorie der Virtuellen Kontexte von besonderer Bedeutung:
Medial ist mental.
Auch wenn Medien (und damit auch die wahrgenommene Realität) wie ein vermeintlich objektives Gegenüber erscheinen, so leben Menschen (vermutlich) in einer rein virtuellen Welt, die in ihrem Verstand aus den Eindrücken ihrer Sinnesorgane errechnet wird. Die Untersuchung wie Medien wirken, verweist somit auf die Frage, wie Menschen eigentlich ihre Welt im Verstand errechnen. Und damit zu der Hauptthese, auf die das Werk „Kontext“ aufbaut: Dass sich aus den Strukturen der Sinnstiftung in Medien anhand der virtuellen Kontexte, Ableitungen für mentale Prozesse treffen lassen. Nach dieser Annahme ist Wahrnehmung kein passiver Vorgang, sondern ein Wechselspiel zwischen bewusster und unbewusster Zuwendung. Wahrnehmung und Handlung erscheinen hierbei wie unterschiedliche Ausprägungen ein und desselben Prozesses. Demnach reflektieren Handlungen die Strukturlogik der Kontextualsierungen und verweisen damit auf die Struktur einer zugrundeliegenden mentalen Struktur hin.
Erscheinungen sind demnach nur Erscheinungen, wenn sie in das übergeordnete System einer Kontextualisierung eingebunden sind, das als mentaler Vorgang die virtuelle Struktur menschlicher Weltbilder strukturiert.
Dadurch erweitert sich ein traditionelles objektivistisches Raumverständnis zu einem umfassenden System, in dem sich unterschiedliche Erscheinungen und Räumen, die zusammenhängend kontextualisiert sind, als ein bestimmter Zugang zur Welt ausprägen. Das heißt, dass die Struktur eines virtuellen Kontextes etwas ist, das durch Medien im geistigen Raum des Menschen entsteht und mental, durch die individuelle Perspektive, Sinn stiftet.
Theoriebildend erweitert anhand der Basisrelationen „Ich, Selbst und Sein“ entfaltet sich so ein Universum der virtuellen Kontexte. Ein im stetigen Austausch und Wandel begriffenes System, in das sich Menschen situativ und performativ begeben und dessen Relationen die künstlich geschaffene Realität menschlichen Daseins in der Gegenwart prägt.
Die Theorie der Virtuellen Kontexte versucht sich nun an einer grundlegenden Beschreibung und Kartographierung des menschlichen Seins im digitalen Zeitalter.
Der Mensch wird dabei als ein System begreifbar, in dem das Selbst- (Bewusstsein) aus Wechselwirkungen von Individuen und Kontexten gebildet wird, die in einem weiteren Umfeld durch Interaktionen den menschlichen sozialen Raum konstituieren. Dabei ist Gestalten, Kommunizieren und Wahrnehmen strukturell derselbe Prozess und es wird deutlich, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen „real“ und „medial“ gibt. Der Mensch lebt stattdessen in virtuellen und tendenziell individuell unerkannten perfekten Bildern (nach dem Mathematiker Edmund Husserl geistige Konstrukte rezipiert ohne Bildbewusstsein) die als sein Zugang zum Sein – ob bewusst oder unbewusst – seine Entwicklungen bestimmen. Gesellschaft und Raum sind dabei nichts anderes als eine Wechselwirkung und ein Angleichen der unterschiedlichen Kontexte, die zusammen einen umfassenderen Zugang zum Sein ergeben. Der Mensch und das was ihn umgibt, offenbart sich dabei nicht als Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt, sondern wird anhand der Systematik der virtuellen Kontexte begreifbar als eine strukturelle Grundrelation der Sinnstiftung.
Im Theoriewerk „Kontext“ wird dieses Universum der virtuellen Kontexte, vor allem anhand einer Metakontextualisierung von Medien-, Kommunikations-, Bild- und Globalisierungstheorie beschrieben. Die Wirksamkeit und Erläuterung von medialen Ausdrucksmitteln wie in Bildern oder Filmen, ist dabei ebenso Thema wie eine Darlegung medialer Interaktion und Beeinflussung, wie sie im massenmedialen Raum der Werbung, Propaganda und Sozialisation zu finden ist.
Neben der Vorstellung des Modells des „virtuellen Kontext“ und der umfassenden Ausformulierung einer Theorie der „Metakontexte“ sollen so Ansätze zu einem erweiterten Menschen- und Gesellschaftsbild im digitalen Zeitalter perspektiviert werden.
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